Reden hilft. Immer.
Bis ein Mensch sich Hilfe holt bzw. sich erst mal eingesteht, dass er vielleicht Hilfe braucht, vergehen im Schnitt 20 Monate. So eine Studie aus dem Jahr 2022, die von der Stiftung Depressionshilfe in Auftrag gegeben worden ist. Gründe sind nicht nur die Antriebslosigkeit, also die Krankheit selbst, und dass es nach wie vor schwer ist an Plätze für Therapeut*innen oder Kliniken zu kommen, sondern auch die Tatsache, dass man nach wie vor stigmatisiert wird. Faul. Falsche Lebenseinstellung. Du wirst belächelt oder bekommst großartige Ratschläge wie „Stell dich nicht so an“ und ähnliches.
20 Monate. Das sind fast 2 Jahre! Und ich stelle mir das gerade vor, denn ich habe schon vor 2 Jahren (und auch vergangenes Jahr) zu diesem Thema hier geschrieben. Ich habe davon erzählt, dass es schwarze Löcher gibt, und man kann ihnen entrinnen. Dass Musik eine unglaubliche Kraft haben kann. Und: dass „Reden hilft. Immer.“
20 Monate fühlen sich auf einmal sehr lang an, und irgendwie fühlen sie sich noch länger an unter der Tatsache, dass sich nicht sehr viel geändert hat. Die Krankheit wird immer noch unterschätzt, die Angebote für Hilfe sind weiterhin begrenzt, Betroffene und Angehörige, die sich zurückziehen und fürchten sich zu „outen“.
Aber es bleibt auch meine Aussage bestehen von damals: Reden hilft! Es wird nicht die Wunderheilung stattfinden, es braucht wie so vieles einfach Zeit. Und Menschen, die es gut mit einem meinen. Und vor allem: dass man gut zu sich ist. Und dass man es sich selbst auch mal sagt: „So ist das nun. Und nun kümmere ich mich um dich da drinnen. Du bist auch der, der mir bleibt.“
In meinen Phasen der Depressionen und der Niedergeschlagenheit, und das waren einige in den letzten rund 15 Jahren, habe ich viel gesprochen. Manchmal gebetet, geschimpft und geweint, ich habe geschrieben und gemalt, Lieder getextet und gesungen. Es war wie „es aussprechen“. Bis die Zeit reif war mich jemandem anzuvertrauen. Und jedes dieser Selbstgespräche, Gespräche mit Gott und dann auch mit lieben Menschen war wie ein Pflaster. Manchmal hat es auch gereicht auszusprechen, dem Ganzen ein Gesicht zu geben, und dass da jemand war, der einfach nur zugehört hat.
Es braucht Zeit. Aber Reden hilft. Immer. „Jetzt ist es raus“-Momente sind auch immer etwas befreiendes und der erste Schritt und Prozess der Heilung. Und immer etwas Wunderbares.
Ihr
Diakon Thorsten Badewitz
P.S.: Wenn Sie einmal reden möchten oder jemanden zum Zuhören brauchen, dann melden Sie sich gerne bei mir.
Frühere Artikel aus dem Gemeindebrief von Thorsten Badewitz
Von schwarzen Löchern, der Musik und den richtigen Fragen. (2022)
„Stell dich nicht so an!“, „Es gibt überhaupt keinen Grund…“, „Du hast doch nichts!“. Schon mal einen dieser Sprüche kassiert? Oder der fränkische Klassiker: „Jetzedla reiss dich hald amal zam“, und auf der Empathie-Skala vermutlich irgendwo zwischen Kühl- und Gefrierschrank anzusiedeln.
Depression ist eine Krankheit. Punkt. Und sie stellt den Betroffenen wie Angehörige vor echte Herausforderungen. Der Erkrankte ist wie in einem schwarzen Loch gefangen, von dem man denkt: „Das verschluckt mich. Da komm ich nicht mehr raus.“ Gelegentlich hört man ein Rufen, einen Funkspruch aus sicherem Orbit, wenn man so will, meist gut gemeinte aber wenig hilfreiche Ratschläge und Aufmunterungen. „Das wird schon wieder“ und „Kopf hoch“ oder „Lach doch mal“. Und manche auch nicht so gut gemeinten Dinge wie eingangs beschrieben. Anders als bei einem Beinbruch oder einer Grippe und so ziemlich jeder anderen sichtbaren Erkrankung oder Verletzung sieht man einfach nicht, was den Betroffenen so quält. Das macht es für Angehörige so schwer. Und das sorgt dafür, dass in der Gesellschaft die Erkrankung immer noch nicht offen besprochen wird. Als charakterschwach, antriebslos, faul gilt man. Kein Wunder, dass Betroffene Angst haben sich zu „outen“. Man hat dann diesen Stempel, der dafür sorgen kann, dass man in Klasse endgültig am Ende der Nahrungskette steht oder es einem die Karriere versaut, weil man ja nicht belastbar wäre. Zumindest die Angst davor treibt die Betroffenen am Ende noch weiter in dieses schwarze Loch. Was hilft?
Depressionen sind keine moderne Erscheinung unserer Gesellschaft. Selbst in der Bibel gibt es Beispiele, das bekannteste vermutlich – rund 3000 Jahre alt – handelt vom König Saul, der von einem „bösen Geist“ gequält wird. Um diesen zu besänftigen, ließ er den Hirtenjungen David auf der Harfe spielen, so wurde es für Saul erträglicher und der böse Geist wich von ihm (1. Samuel 16). Quasi die Begründung der Musiktherapie, wenn man so will.
Musik war also schon immer etwas, was den Menschen berührt hat und Dinge vermitteln konnte, die mit Worten gar nicht möglich sind. Die neuere Hirnforschung weiß davon zu berichten, dass die Musik Veränderungen im Hirn auslösen, die über andere Wege nicht gelingen. Musik ist nicht das Allerheilmittel, zumindest schafft sie aber Linderung.
Darüber reden hilft. Gemeint sind nicht die guten Ratschläge. Es gibt nicht DEN Weg aus dem schwarzen Loch. Aber es gibt einen. Davon weiß Steven Hawking in einer seiner Vorlesungen zu berichten:
„Die Botschaft dieser Vorlesung ist, dass Schwarze Löcher gar nicht so schwarz sind, wie gedacht. Sie sind nicht, wie einst angenommen, Gefängnisse, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt. Aus einem Schwarzen Loch lässt es sich entkommen – entweder durch sie hindurch oder über den Weg zurück, möglicherweise sogar in ein anderes Universum. Wenn Sie sich also fühlen, als seien Sie in einem Schwarzen Loch gefangen: Geben Sie nicht auf – es gibt einen Weg heraus.“
Wenn das mal keine gute Nachricht ist. Ich denke, was die Menschen am nötigsten brauchen ist Empathie. Also unser Mitgefühl und vor allem Einfühlungsvermögen. Das stellt man nicht her mit gut gemeinten Ratschlägen und schon sicher nicht mit Gemeinheiten und Abwertungen. Am besten wohl mit den richtigen Fragen und Zuhören. Wenn jemand mit dem üblichen „Passt scho!“ antwortet, vielleicht auch mal nachfragen: „Was passt denn nicht?“. Oder statt der Standardfrage „Wie geht’s dir?“ ein „Bist du glücklich?“.
Musik hat Kraft (2023)
Musik kann aus tiefsten Nöten retten. Das Pfeifen in der Nacht kann dich beruhigen und sorgt für Vertrauen. Die Musik ist eine unsichtbare Kraft, eine Macht, die alles durchdringen kann.
“Sabbel nicht. Sing!” war neulich auf einem Konzert mal aus den Reihen hinter mir zu vernehmen. „Gesabbelt“ wird viel. Der Mensch redet und hört. Tausende Worte am Tag. Wir hören und lesen, und lesen und reden. Podcast hier, Gottesdienst da, Vortrag dort, das 300seitige Buch in 20 Minuten dank App durchgemacht. In der Schule viel Text von den Lehrern, der Chef, der Kollege, die Kinder haben auch noch viel zu erzählen, am Abend will der/die Partner*in auch noch was loswerden. Und ich?
Musik ist eine Möglichkeit sich mal treiben zu lassen. Klar, da gibt es auch einen Text. Aber die meisten Lieder sind englisch, da hört man eh nicht genau hin, und ganz ehrlich: bei manchen deutschen Liedern weiß man auch nicht so recht, was der/die Künstler*in sagen will. Gut, vielleicht kann man es erahnen, wenn der sogenannte „Hook“ im Refrain gut sitzt und der Text eingängig daherkommt, dann weiß man, dass Männer “außen hart und innen ganz weich” sein müssen, und dass in der Liebe vieles oft ein wundersamer Zufall ist weiß man, wenn man selbst nur “einer von 80 Millionen” ist und es plötzlich nach „tausend Mal“ doch noch „Zoom gemacht“ hat. Vermutlich sitzen der oder die Ohrwürmer nun fest, ich bitte um Entschuldigung.
Die Musik, die Melodie, sie malt Bilder, sie drückt Emotionen aus, die erinnert uns an den ersten Tanz, eine gelungene Party, den unvergesslichen Kuss oder die Fahrt in den Urlaub. Sie erinnert uns an Düfte, lässt Bilder entstehen und Erinnerungen wie Blasen aufsteigen. Sie tut mir gut. Sie tut uns gut. Wie einst schon König Saul, der in seiner depressivsten Verstimmung seinen Hirtenjungen David (später der König David) zum Harfe spielen kommen ließ, um seinen Seelenschmerz etwas zu lindern. Die Geschichte ist ein paar tausend Jahre alt und eins der ältesten Zeugnisse über die Macht der Musik.
Es geht auch nicht um “gute oder schlechte” Musik (die Geschmäcker sind bekanntlich sehr unterschiedlich), sondern um Musik und wie sie mir guttut. Ob beim gemeinsamen Singen oder in einer Band oder im Gottesdienst am Sonntagmorgen mit Orgel, oder bei Helene Fischer oder in Wacken ganz vorne stehen, in der Jugendgruppe Singstar mit den besten Freundinnen spielen… oder ganz gemütlich in meiner Lieblingsecke oder -stuhl sitzend meinen Lieblingsplaylists abspielen.
Das Miteinander singen in der Gemeinschaft unterstreicht sicher nochmal, welche Kraft in der Musik steckt. Und wer sie bewusst hört, der vermag zu verstehen, was Victor Hugo vermutlich damit gemeint hat, als er sagte: „Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“